Dr. Annett Reckert: Hartgesotten , in Kat. Sonja Alhäuser – Hartgesotten, Hrsg. Annett Reckert, Städtische Galerie Delmenhorst, 2010

Dr. Annett Reckert

Hartgesotten

Bildhafte Ausdrücke, die durch Töpfe und Mägen gehen, geben unserer Sprache in vielen Fällen die entscheidende feine Würze. So beschreiben wir Menschen, die Pfeffer unter dem Hintern haben oder solche, die wie ein Honigkuchenpferd grinsen. Wir kennen Menschen, die sich gerne von ihrer Schokoladenseite zeigen, aber auch abgebrühte Zeitgenossen, ausgekochte Hunde oder hartgesottene Burschen. Dabei erfahren wir von letzteren zunächst einmal nur, dass sie einen gründlichen Garprozess schadlos überstanden haben.

Hartgesotten ist das veraltete starke Partizip Präteritum von sieden (sott, gesotten).

Als Titel einer Ausstellung Sonja Alhäusers verweist es zunächst auf ein Arbeitsfeld: Seit …. bewegt sich Sonja Alhäuser mit ihren Rezeptzeichnungen, Skulpturen, Installationen, Filmen und Performances in der Welt des Kulinarischen. Ihr Interesse gilt sämtlichen mit dem Essen verbundenen Tätigkeiten und Techniken, der Herkunft unserer Nahrung, der Zubereitung von Speisen, all den Rollen, Ritualen und Zeremonien, die unsere Esskultur mit sich bringt. Dabei ist sie eine versierte Verführerin, die den Betrachter mit der vordergründigen ‚Süße’ ihrer Materialien und Bildsprache zu umzuckern versteht. Schließlich hängt gerade den von ihr häufig verwendeten Medien der Zeichnung und des Aquarells das Image einer unverfänglich-flotten Leichtigkeit an und die Detailverliebten bannt Sonja Alhäuser mit ihrer obsessiven Hinwendung zu den Dingen und ihrer überbordenden Phantasie. Wer jedoch diesen Lockstoffen erliegt, wird unversehens einverleibt – um dann eben doch manch harten Brocken schlucken zu müssen. In diesen Kippmomenten entpuppt sich das Hartgesotten auch als eine Haltung zur Welt und als eine daraus resultierende Arbeitsweise: Sonja Alhäuser schöpft aus dem Vollen, sie greift zu und teilt aus; vice versa sind auf der Seite des Publikums Nehmerqualitäten gefragt. Schließlich wird in den hintergründigen Darstellungen auch gelogen und betrogen, gejagt, gehetzt, verletzt und gemordet. In dem Versuch immer das Gesamt der Dinge zu erfassen geht es auch um das Eingemachte und den Bodensatz, um eine spezifische Kompromisslosigkeit und Ehrlichkeit. Noch dazu irritiert Sonja Alhäuser oft mit den Ausmaßen ihrer Arbeiten. Vor allem die für den Normalverbraucher ungewöhnlichen Massen und Mengen von Lebensmitteln werden für sich genommen zu einer eigenen Aussage, die freilich die Gemüter von Moralisten oft bis zum Siedepunkt erhitzt.

Scheide sanft

Ein allein gastrosophisch fokussierter Blick wird Sonja Alhäusers Ansatz nicht gerecht. Ein Werk wie „Scheide sanft“, 2009, zeigt, dass es vielmehr in einem übergreifenden Sinne um Entwicklungen, Prozesse, Übergangsstadien und Kreisläufe geht, um das Werden und Vergehen des Lebens, in welchem Aggregatzustand auch immer. 

Mit einem leichtfüßigen Strich, dem die Farbe hinterherläuft, fächert Sonja Alhäuser in all ihren Arbeiten in cinematographischer Manier Zustände und Abläufe auf. In der simultanen Darstellung von Phasen erinnert dies ebenso an Darstellungen der Futuristen wie an die Bildsprache von Comics. Dabei ist auf dem oft gewählten Breitwandformat zunächst meist ein Handlungsstrang ausmachen, dieser wiederum führt parallele Episoden mit sich, noch dazu Fußnoten und Randbemerkungen. Die Komplikation und Komplexität der Verhältnisse selbst sind das Faszinosum.

Mit dem großformatigen Bild „Scheide sanft“ scheint zurückblickend auf diese Bildkosmen ein gerüttelt Maß an Ruhe und Ordnung einzukehren. Im Zustand paradiesischer Nacktheit sind Menschen in einen vor Saft und Kraft strotzenden Kranz aus grün-gelben, schilfartigen Gräsern und Erdreich eingebunden. Menschen sprießen, sie werden eins mit dem Blattwerk, sie fügen sich in den Schwung des Gebindes, genießen sich selbst im Sog von Liebe, Lust und Leidenschaft. Sie steigen auf in einem orgiastischen Reigen und sinken nicht minder vergnügt hinab in das brodelnde Erdreich. Dies jedoch zeigt auch sein grimmiges Gesicht: aus dem so fruchtbaren, alles gebärenden Dung grinsen moddrige Fratzen des Todes hervor. Und so wankt die Beruhigung, die ohne Zweifel in dem Wissen um die ewige Wiederkehr des Gleichen liegt. Bei genauerem Hinsehen zeigt sie sich in ihrer ganzen Unerbittlichkeit. Und so wird mit Blick auf „Scheide sanft“ sehr konkret lesbar: Es gibt Menschen, die den Halt verloren haben. Gemeinschaften, Runden und Zirkel spucken Einzelne aus. Diese stürzen ab, sie entgleiten helfenden Händen. Der ein oder andere gar ‚beißt ins Gras’. Nur einige fassen in Parallelwelten, in inselartigen Ressorts Fuß und wer als Betrachter diese Abgänge und Nebenschauplätze in Sonja Alhäusers Bild probeweise besucht hat, den irritiert im Rückblick umso mehr das Treiben derjenigen, die auf dem Höhepunkt ihres Werdegangs, in jener Phase, in der eine Wende unmittelbar bevor steht, sich voller Inbrunst in einem Bombardement ergehen. Was sie in „Scheide sanft“ genau wem entgegenschleudern, bleibt unklar: Erdklumpen, Exkremente, Schokoladenpralinen oder auch Hackbällchen sind denkbar; diese kalkulierte Indifferenz freilich gibt dem mahnend erhobenen Zeigefinger keinen definierten Ansatzpunkt.   

Das Bild „Scheide sanft“ erzählt entsprechend der ironischen Doppelzüngigkeit seines Titels von einem „Garten der Lüste“ und bezieht sich entfernt auf die Bildwelt von Hieronymus Bosch. Es geht hier wie dort um das Fest des Lebens, um ein Traumwerk, das von reuelos-orgiastischem Genuss kündet. Das memento mori, die Warnung vor den Verführungen des Leiblichen, vor menschlichen Abgründen und Fehltritten wird locker in das Treiben hineingestrudelt. Letztendlich mag es auch erst die sprichwörtliche Lust am Untergang sein, die den Schwung unterhält. Eine gefährdete Ruhe – schon bröckeln Klumpen hinab – herrscht allein in der Mitte, in einer Zone, die an die irreale Windstille im Auge des Sturms erinnert.  

Stoffwechsel mit Dieter Roth

Mit Blick auf die jüngere Kunstgeschichte liegen Bezüge zwischen Daniel Spoerri und Sonja Alhäuser nahe, vor allem dann, wenn es um das Kochen und Essen als Aktionsformen innerhalb sozialer Gefüge geht. Steht jedoch kongeniale Hartgesottenheit zur Debatte ist Dieter Roth auf den Plan gerufen. All seinen künstlerischen Äußerungen unterliegt der Versuch Prozessen und Beziehungsgeflechten, dabei einer Idee vom Gesamten auf die Spur zu kommen. Auf diesem Weg hat Dieter Roth vor Nichts und Niemandem Halt gemacht; Einverleiben und Ausscheiden spielten in einem elementaren und übertragenen Sinne eine Rolle. So fragen beide, Dieter Roth wie auch Sonja Alhäuser, nach dem bildhauerischen Potential des alltäglich Verfügbaren, vor allem nach dem Potential vergänglicher Materialen. Dieter Roth nivellierte sämtliche seiner Ausscheidungen; ganz gleich, was sein Körper, was sein Geist, produzierte, all sein Tun betrachtete er „als Teil des Stoffwechselkreislaufes“. In einem seiner Scheisse-Gedichte heißt es: „Mein Auge ist ein Mund“ und „meine Verdauung ist des Auges Bilder“.

An welchem Punkt sich Genuss und Ekel begegnen, erprobte Dieter Roth unter anderem im Umgang mit Schokolade als Material und Sonja Alhäuser erweist ihm diesbezüglich Jahrzehnte später in einigen ihrer Arbeiten eine Referenz. Der Protagonist des Rezeptbildes „Heimathase – scharf, 2008, ist zunächst als ein liebkostes Kaninchen zu sehen, dann hockt er unschuldig eine Möhre mümmelnd auf einem braungeköttelten alter ego, das für denn Roth-Kenner ein eindeutiger Verweis auf dessen legendäres Multiple „Karnickelköttelkarnickel“, 1972, ist.  Als Teil der Arbeit „….“,2010,  begegnen dem Ausstellungsbesucher in der Städtischen Galerie Delmenhorst zwischen Schoko- und Kotoptik changierende Hinterlassenschaften auf einen Tisch, den der Architekt Heinz Stoffregen entworfen hat. In Anlehnung an die Ästhetik eines Gesellschaftsspiels hat Sonja Alhäuser für dieses niedrige, runde Möbelstück eine Zeichnung geschaffen. Auf eigens dafür vorgesehenen Partien häuft sich der mit Zimt und Kardamon angetane Schoko-Marzipan-Snack, der – das Auge isst mit – visuell nichts für Angsthasen und Hasenfüße ist. 

Die Schokoladenmaschinen aus den Jahren 1997 und 1999, krude in einer grau unterlegten Showdown-Konfrontation präsentiert, gehören nur in der Theorie zum Inventar eines Schlaraffenlandmärchens. In Sonja Alhäusers Realisierungen zieht eine männliche Figur vor den Augen der verblüfften Betrachter in warmer Vollmilchschokolade seine Bahnen; ihm gegenüber taucht im immer gleichen Rhythmus eine Frau in ihrem Bad weißer Schokolade auf und ab. Selten jedoch sind die beiden im Takt, ein gemeinsamer Höhepunkt ist reiner Zufall. Niemals finden sie wirklich zueinander. Was im ersten Moment verblüfft, was den Eintretenden zunächst mit all seinen Sinnen erfasst und an mythenerprobte Bäder in Milch und Honig erinnert, schlägt um. Dann drängt sich das Brummen der Edelstahlapparaturen in den Vordergrund, die Maschinenraum-Atmosphäre inmitten des Museums, die olfaktorische Penetranz der warmen Schokolade und der Sog des Ewiggleichen, der zu einer mentalen Folter werden kann.  

Die Doppelfigur von Stärke und Schwäche, von Eros und Tod, nicht zuletzt in der Bespiegelung des Selbst, gibt sich im Werk Dieter Roths auch in seinem vielfach verwendeten Motiv des Motorradfahrers zu erkennen: „Mein M’fahrer hat – mir selbem – zunächst etwas (nebulos) sportlich Technisches, also Beneidetes bedeutet. Nachdem ich die Form einige Zeit lang in Stempelbildern, Zeichnungen, gemalten Bildern und Reliefs gebraucht hatte schien sie mir vor Allemanderen das männliche Geschlechtsorgan zeigen zu wollen. Der Penis liegt in meinen Darstellungen schlaff nach links, eine Andeutung der Impotenz (wenn dieselbe auch täuschenderweise, kräftiglich streckend, den P. in den Fahrtwind zu stemmen scheint.“ Genau hier entzündet sich mit „Für Dieter“, 2010, in Form einer Bleistiftzeichnung ein humorvoller künstlerischer Dialog. Zeichnend umarmt Sonja Alhäuser drei Motorrad-Arbeiten Dieter Roths mit einem direkt auf die Wand aufgebrachten Butterplätzchenrezept. Fett und feist prangen darin tatsächliche Motorradfahrerkekse – gebacken nach einer eigens rekonstruierten Roth’schen Ausstechform.

Voll im Teig

Essen ist eine elementare Verbindung zur Welt. Nur wer täglich einen Teil der Welt aufnimmt und zu einem Teil seiner selbst macht, kann leben. In der künstlerischen Arbeit Sonja Alhäusers geschieht diese Rezeption, diese Aneignung und Einverleibung, unverkennbar auch auf der Ebene der Kunstgeschichte wie auch der Geschichte und Gegenwart ihrer jeweiligen Ausstellungsorte. So wird das Publikum in der Städtischen Galerie Delmenhorst schon auf dem ersten Treppenabsatz von einem zähnefletschenden Zuckerfiligran überrascht. Dort, am heimeligen Wintergartenfenster, hat Sonja Alhäuser zwischen Woodoo und Makramee schwankend mit der Zuckerspritztüte eine ortsbezogene Arbeit angebracht.

In der Remise des Delmenhorster Haus Coburg treffen zwei Selbstbildnisse aufeinander. „Ich“, 2010, zeigt die Künstlerin zerrissen zwischen der Liebe zum Land und dem Berliner Künstlerleben. Gegenüber in respektvoll erhöhter Positionierung auf der Wand ist Fritz Stuckenbergs „Selbstbildnis“, um 1909, zu sehen. Dessen an  Henri Matisse erinnernder, floraler Hintergrund wird nun zum Eigentlichen. In einer luftigen Wandmalerei über Eck gedeihen feurige Schoten, surreale Kugeldisteln, ein Schlangengewächs und ein sonderbar frei flottierendes Jackettrevers. 

Zwei kleine, wenig beachtete Werke Arthur Fitgers erfahren in einem beherzten künstlerischen Zugriff Sonja Alhäusers ebenso eine Aktualisierung.  Der getötete „Fasan“,…, erhält als Dialogpartner das hartgesottene Rezeptbild „Frischer Fasan“,  2010.  Dort geht es inmitten eines Wald- und Wiesengrüns um das wild flatternd flüchtige Federvieh, dessen Tötung, die Darbietung des stachelig-nackt Gerupften, das Stopfen und die empfohlene Bondage-Technik für den Braten.

Eine kleine unvollendete Studie Arthur Fitgers mit dem Titel „Bankett“, um 1890, aus dem Jahr lässt viele Fragen offen und genau dies macht sie für Sonja Alhäuser interessant: Ein ungleiches Paar sitzt an einer Tafel, Gäste rundherum; der Blickwinkel des Betrachters, der vielleicht über einen anderen Tisch bzw. Stuhl herüberführen könnte, ist unklar. Was Sonja Alhäuser daraus entwickelt, ist eine Installation: Eine schmale Tafel ohne Stühle, die in ihren Proportionen auch einer Aufbahrung oder einem Ritual dienen könnte, darauf das Geschirr, das trüb und gilb Assoziationen an ein längst verlassenes Gelage weckt. Alles ist aus Zucker, auf das es in der Phantasie des Betrachters jeden Moment als Stunt-Requisite einer bewegten Szene zum Effekt verhelfen könnte. Atmosphärisch ginge es in dieser Szene in jedem Fall um Düster-morbides. 

Mit jeweils prägnanter Geste, so wie sie auch ihre Themen, Materialien und Mitspieler einspannt, packt Sonja Alhäuser somit ihre verstorbenen Künstlerkollegen. So erklärt sich auch ein schaurig-schönes Bildbrot, das in einer Delmenhorster Backstube entstanden ist: ein brachialer Brocken von dunkelbraunen Teigwürsten durchwirkt, ein Emblem, aus dem rechts und links die Geister der Ahnen hervorlugen. Und in der Mitte das Trio: Arthur Fitger, Fritz Stuckenberg und Sonja Alhäuser vereint – voll im Teig.